Inhaltlich begann der Kongress am Freitagnachmittag mit der Podiumsdiskussion ‚Sprechfreude³‘. Der Moderator Martin Seefeld begrüßte Gäste aus drei Verbänden, die als Gemeinsames eine Beeinträchtigung des Sprechens oder der Sprache haben.
Die Gäste waren Vertreterinnen und Vertreter der drei Verbände, die vor acht Jahren die Initiative Sprechfreude³ ins Leben gerufen haben. Dazu gehört der Bundesverband Aphasie e.V., die Selbsthilfevereinigung für Lippen-Kiefer-Gaumen- (LKG)- Fehlbildungen (Wolfgang-Rosenthal-Gesellschaft, - WRG) und die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V..
Die Gäste auf dem Podium waren Anne Svea Hansen, Rebekka Reith und Michael Braun.
Bei der 43-jährigen Studienrätin Anne Svea Hansen wurde im Jahr 2007 ein Gehirntumor diagnostiziert, der dann zweimal operiert wurde. Die Folge waren eine Aphasie und eine leichte Parese (also eine unvollständige Lähmung). Anfangs konnte Anne Svea nicht mehr schreiben, weil ihre Handmotorik plötzlich nicht mehr funktionierte. Diese Behinderungen hat Anne Svea mit Hilfe von Therapien und Eigenarbeit gut in den Griff bekommen, verschwinden werden sie jedoch nie. Ihren Beruf kann sie nicht mehr ausüben.
Rebekka Reith hat von Anfang an eine linksseitige LKG-Spalte. Sie ist Lehrerin für Menschen mit geistiger Behinderung. Ehrenamtlich organisiert sie in der Selbsthilfevereinigung der WRG Seminare für deren Jugendorganisation ‚LiGa 18 Up‘.
Michael Braun ist Ansprechpartner der Stotterer-Selbsthilfegruppe in Würzburg (siehe: www.wuerzburg-stottert.de) und ist vielen als aktiver Fotograf von Ereignissen aus der Stotterer-Szene bekannt.
Interessant fand ich, dass es deutliche Parallelen zwischen den Menschen mit den Behinderungen Stottern und Aphasie gibt. Beide wissen, was sie sagen wollen, bekommen die Worte aber nicht immer heraus.
Eine stabile Selbsthilfegruppe aufzubauen, das ist auch ein Problem der Aktiven in der WRG. Im Vergleich zum Stottern gibt es weniger Betroffenen, nur jedes 500.-700. Neugeborene hat diese Einschränkung, d.h. es wird Störungen in unterschiedlichen Ausmaßen geben: beim Schlucken, bei der Atmung, der Sprache, dem Kiefer und/oder dem Gehör. Die Selbsthilfe wird vorwiegend aufgesucht, wenn wieder eine Operation ansteht.
Auch spielt Diskriminierung in allen drei Verbänden eine Rolle. Rebekka berichtet, dass Menschen mit LKG-Fehlbildungen von Arbeitgebern abgelehnt wurden, weil sie als Arbeitnehmer nicht zumutbar seien. Auch wurden Kinder immer wieder auf Förderschulen verwiesen, obwohl die Intelligenz von einer LKG-Fehlbildung überhaupt nicht beeinträchtigt ist.
Tabuisierung und Scham sind auch Stichworte für alle drei Verbände. Rebekka berichtet, dass öffentlich bekannte Personen mit LKG-Fehlbildungen auf Ansprache von der WRG auf ihre Behinderung meistens gar nicht regieren.
Anne Svea und Rebekka hoben lobend hervor, wie sehr in der Stotterer-Selbsthilfe an der Desensibilisierung gearbeitet wird. Der Slogan auf der Postkarte „Mut zur Lücke“, die aus der Zusammenarbeit der drei Verbände entstanden ist, empfand Rebekka anfangs als echte Zumutung.
Michael führte aus, dass Stottern häufig unterschätzt wird. Ihm ist der psychisch gute Umgang mit dem Stottern wichtiger als flüssiges Sprechen. Die psychischen Auswirkungen des Stotterns seien enorm – so sei auch die Sekundärsymptomatik nicht ohne psychische Betroffenheit (und schlechtem Umgang damit) denk- oder erklärbar. Wichtig ist der Scham-Abbau, mit Humor und Selbstironie ist der Alltag mit Stottern besser zu ertragen.
Beeindruckt hat mich, wie lebensbejahend alle mit ihrer Behinderung umgehen. Anne Svea zitierte abschließend von ihrem Lieblingskünstler Peter-Thorsten Schulz (der Olle Hansen): “Herrlich so ein Leben, wenn man es hinnimmt“.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände wollen sich auch in Zukunft regelmäßig treffen und die weitere Zusammenarbeit planen und umsetzen. Wir wünschen ihnen alles Gute!